Führung

Vom Rumsitzen

In den letzten Tagen und Wochen konnten wir über die sozialen Medien und teils auch in den großen Nachrichtensendungen und Zeitungen von Helfern lesen, die für Einsätze bei der Hochwasserkatastrophe alarmiert wurden und nicht gleich zum Einsatz gekommen sind, ggf. sogar unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren mussten oder gar nicht los durften.

Oft gehörte „Beschwerde“ ist dabei, dass nun ein großes, schlagkräftiges Hilfeleistungskontingent in einem Bereitstellungsraum sitzt, während draußen doch „die Kacke am dampfen“ ist. Mit einigen Jahren Erfahrung und einigen eigenen Rumsitz-Einsätzen möchte ich einmal darauf schauen, warum das so sein könnte und ob das wirklich immer Indizien dafür sind, dass der Einsatz schlecht läuft oder die Führung mal wieder versagt hat. Vielleicht gelingt auch ein kleiner Blick auf das Thema „Bereitstellung“ im täglichen Einsatz.

Zeitlicher Vorlauf als Planungsproblem

Um die Schwierigkeiten für die Ressourcensteuerung in solchen Flächen- und Großlagen zu verstehen, muss man sich einmal den Unterschied zwischen einem Brandeinsatz zuhause und einem überörtlichen Einsatz im Katastrophenschutz verdeutlichen:

Schadenkonten sind ein Mittel der Lagedarstellung und ermöglichen auch die Erfassung von Einsatzkräften in einem Bereitstellungsraum

Im Einsatz beim Wohnungsbrand drei Straßen von der Feuerwache entfernt wird die örtliche Wehr zu einem relativ klar abgegrenzten und vom Umfang der zu erwartenden Aufgaben her gut einzuschätzenden Ereignis alarmiert. Ergänzende Kräfte wie Drehleiter oder der Rettungsdienst werden sofort mit alarmiert oder sind im Bedarfsfall schnell greifbar. Man kann also schnell bestimmen, welche Ressourcen benötigt werden und an den benötigten Einsatzkräften herrscht zunächst kein Mangel. Die Kräfte kommen sofort zum Einsatz oder werden bei Lageentspannung oft schnell wieder heim geschickt.

Bei einer Lage wie dem jüngsten Hochwasser sind die örtlichen Kräfte weitgehend gebunden. Benötigte Verstärkung und Spezialkräfte müssen über lange Strecken, teils über hunderte Kilometer, heran geführt werden. Es entsteht eine große zeitliche Differenz zwischen dem Zeitpunkt der Anforderung von Kräften und deren Eintreffen bzw. der Einsatzbereitschaft vor Ort. Der Anfordernde muss also den Kräftebedarf und den Ort dieses Bedarfes zum Zeitpunkt der Anforderung abschätzen. Er plant dementsprechend Stunden, ggf. Tage in die Zukunft.

Im Gegensatz zum oben beschriebenen Brandeinsatz kann für das angeforderte Kontingent zwischen Alarmierung und Eintreffen im Schadengebiet nur noch beschränkt auf Lageänderungen oder nicht eingetretene Lageentwicklungen reagiert werden. So könnte sich die Lage zwischenzeitlich durch Maßnahmen vor Ort stabilisieren, oder sie könnte sich unerwartet verschlechtern – so dass Gebiete, in denen die angeforderten Kräfte eingesetzt werden sollten, entweder inzwischen sicher oder gar aufgegeben sind, dass der Gefahrenschwerpunkt sich verlagert oder andere Fähigkeiten benötigt werden.

Daraus folgt eigentlich ganz automatisch, dass man Kräfte aus weiterer Entfernung häufig nicht direkt zum Einsatzort durchfahren und sich dort an den Akutmaßnahmen beteiligen können. Zudem ist es sicher sinnvoll, die Kräfte nach einem langen Anmarsch zu versorgen, ggf. ruhen zu lassen und die Führungskräfte in Örtlichkeit und Lage einzuweisen.

Hinzu kommt, dass eine vorausschauend handelnde Führungskraft auch immer daran interessiert sein muss, dem Umfang möglicher Lageänderungen angepasste Reserven zu halten. Dabei erscheint es logisch, mobile und autark einzusetzende Einheiten wie vorgeplante Hilfeleistungskontingente aus anderen Bundesländern hierfür zurück zu halten und diese nicht für vergleichsweise einfache Arbeiten, die auch durch Freiwillige aus der Bevölkerung erledigt werden können, zu „verbrauchen“.

Bestehen keine Reserven, kann die Einsatzleitung auf Lageänderungen nicht mehr oder nur noch durch den Abbruch anderer Aufträge reagieren. Die Leitungsebene gerät „hinter die Lage“ und muss reagieren, statt aktiv zu agieren. Somit sind starke, leistungsfähige Reserven ein sehr wichtiges Element der Führungsorganisation.

Reserven auch bei örtlichen Einsätzen notwendig

Mit diesem Gedanken kann man dann auch wieder auf die örtliche Ebene, beim beschriebenen Wohnungsbrand, schauen. Auch da kann es ja ungeplante Lageänderungen geben, etwa einen Atemschutznotfall oder den Ausfall von wichtiger Technik. Dafür sollte der Einsatzleiter Reserven einplanen. Der Zeitbedarf für eine Nachalarmierung und das Anrücken ist hier zwar deutlich kürzer, die beschriebenen Notfälle lassen aber auch Wartezeiten von wenigen Minuten unter Umständen nicht zu.

Cimolino et al beschrieben schon vor einigen Jahren in verschiedenen Werken das Element des SET (Schnell-Einsatz-Team). Dabei handelt es sich um eine selbstständige taktische Einheit mit Mannschaft und Gerät, die der Einsatzleiter unmittelbar zur Verfügung hat und direkt selbst bei Lageänderungen einsetzen kann.

Auch diese Einheiten sitzen im Idealfall während des gesamten Einsatzes nur herum und fahren später ohne Tätigkeit wieder nachhause. Für die Feuerwehren in der Fläche heißt das m.E. nicht unbedingt, dass ein SET-Konzept eingeführt werden muss. Es heißt aber schon, dass es auch bei Wohnungsbränden oder anderen Einsätzen im Tagesgeschäft eine Bereitstellung in der Nähe der Einsatzstelle geben kann, und dass man nicht unbedingt immer alle nicht direkt benötigten  Kräfte noch auf der Anfahrt abdrehen lassen muss.

Für die Führungskräfte bedeutet das auch, dass man mit seinen Einsatzkräften mal darüber sprechen muss, dass Feuerwehr heute nicht mehr nur ausrücken, direkt vor’s brennende Haus fahren, mit allen Mann rein rennen und wenn man fertig ist direkt wieder heimfahren heißt. Vielmehr sollte man erklären können, dass der geschickte Umgang mit Ressourcen und auch das Bereitstellen von ausreichenden Reserven eher ein Zeichen guter Führungsorganisation sind als das der Einsatz wirklich schlecht gelaufen ist.

Natürlich muss man dabei auch die Seite der Helfer sehen: Wer zig Mal nacheinander alarmiert wird, nie selbst anpacken kann und nur anfährt, um kurz darauf wieder nach Hause zu fahren, der kann sicher ein Motivationsproblem entwickeln – dann deswegen ist er ja nicht bei der Feuerwehr. Gerade bei längeren Einsätzen, eben auch den Hochwasser-Lagen, ist daher zu überlegen, die Reserven auch mal durch zu tauschen und die Kräfte nacheinander in den Einsatz zu bringen. Immerhin kennt die bisherige Reserve-Einheit Örtlichkeit und Lage schon und kann abzulösende Kräfte unmittelbar ersetzen. Ggf. muss dann die Reserve wieder mit frisch zu alarmierenden Kräften aufgefüllt werden.

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